Einige Bücher sind zu Unrecht vergessen; keines ist zu Unrecht in Erinnerung.

W. H. Auden

Buchtipps des Monats - Herbst 2020

    Krause: Elbwärts
  • Thilo Krause
  • Elbwärts
  • Hanser 2020
  • ISBN 978-3-446-26755-8
  • € 22.00

Wie begegnet man seiner fremd gewordenen Herkunft? – Thilo Krauses eindringlicher Roman über unser Land und unsere Zeit

Ein junges Paar kehrt nach Jahren zurück ins Felsland der Sächsischen Schweiz. Der Wunsch, sich an den Kindheitsorten ein neues Leben aufzubauen, mündet in die Konfrontation mit der Herkunft, aber auch mit einer neuen Fremdheit. Der Erzähler erinnert sich: an den Schulfreund, der damals beim gemeinsamen Klettern sein Bein verlor. An den öffentlichen Tadel in der Schule beim sozialistischen Fahnenappell. Thilo Krauses erster Roman erzählt vom Versuch der Heimkehr in ein fremdgewordenes Land. Es gibt nicht nur Apfelbäume und Elbwiesen, es gibt auch das Sommercamp der Neonazis, und am Misstrauen des Dorfes droht auch das Paar zu scheitern. Ein intensiver Roman über unser Land und unsere Zeit.
(Verlagsinformation)

Thilo Krause, geboren 1977 in Dresden, lebt und arbeitet in Zürich. Seit 2005 veröffentlicht er literarische Texte in Zeitschriften (u.a. Akzente, Sinn und Form), Zeitungen (u.a. Die Zeit, Zürcher Tagesanzeiger) und Anthologien. Für seine Gedichte wurde Thilo Krause 2012 mit dem Schweizer Literaturpreis und 2016 mit dem Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg sowie dem ZKB Schillerpreis ausgezeichnet. Bei Hanser erschienen 2018 sein Gedichtband Was wir reden, wenn es gewittert, für den er den Peter Huchel-Preis erhielt, 2020 sein Roman Elbwärts, der mit dem Robert Walser Preis ausgezeichnet wurde.

    Kidd: Die Erfindung der Flügel
  • Sue Monk Kidd
  • Die Erfindung der Flügel
  • btb 2017
  • ISBN 978-3-442-71467-4
  • € 10.00

Die elfjährige Sarah, wohlbehütete Tochter reicher Gutsbesitzer, erhält in Charleston ein ungewöhnliches Geburtstagsgeschenk, versehen mit einer violettfarbenen Schleife - die zehnjährige Hetty "Handful", die ihr als Dienstmädchen zur Seite stehen soll. Dass Sarah dem schwarzen Mädchen allerdings das Lesen beibringt, hatten ihre Eltern nicht erwartet. Und dass sowohl Sarah als auch Hetty sich befreien wollen aus den Zwängen ihrer Zeit, natürlich auch nicht. Doch Sarah ahnt: Auf sie wartet eine besondere Aufgabe im Leben. Obwohl sie eine Frau ist. Handful ihrerseits sehnt sich nach einem Stück Freiheit. Denn sie weiß aus den märchenhaften Geschichten ihrer Mutter: Einst haben alle Menschen Flügel gehabt ...

    Drawert: Dresden. Die zweite Zeit
  • Kurt Drawert
  • Dresden. Die zweite Zeit
  • Beck 2020
  • ISBN 978-3-406-75477-7
  • € 22.00

Fünfzig Jahre sind vergangen, seit er als Kind mit seiner Familie nach Dresden gezogen ist, das er 1985 wieder verlassen hat. Nun kehrt Kurt Drawert als Stadtschreiber nach Dresden zurück, wo die Mutter lebt, eine Stadt, die ihm vertraut und doch ganz unvertraut ist. Er ist auf der Suche nach etwas, von dem nur er weiß, dass es ihm fehlt. Die Schönheit und die Wunden dieser Stadt, die Risse in der Familie und in der eigenen Biografie, das schwierige Verhältnis zum Vater und den Brüdern, die politisch aufgeladene Stimmung in Dresden, die offenen Fragen nach Tätern und Opfern, in der großen wie in der persönlichen Geschichte, und die Suche nach einer Sprache dafür, sind Themen und Motive in diesem dichten, autobiografischen Roman.
Mit Witz und Feingefühl, mit einem Gespür für die einschneidenden Augenblicke und prägenden Konflikte im Familienleben, einem scharfen Blick für das Detail, mit bissig-analytischem Verstand, unvergesslichen Erinnerungsbildern und großer Sprachkraft erzählt Kurt Drawert von Verwerfungen und Sehnsucht, Wünschen und Brüchen im eigenen Leben und ihrer Verortung in dieser Stadt.
(Verlagsinformation)

    Krause: Geregelter Schwelbrand
  • Dieter Krause
  • Geregelter Schwelbrand. Gedichte
  • Poetenladen 2020
  • ISBN 978-3-948305-06-2
  • € 18.80

Wer sich auf die Gedichte von Dieter Krause einlässt, betritt doppelten Boden. Schon mit dem Eröffnungstext stellt sich das Gefühl ein, die dort tätigen Straßenarbeiter rissen das Erdreich nicht nur vor Ort auf, sondern bis Delphi. Es entsteht eine Ästhetik der Gleichzeitigkeit, in der Gegenwart und Vergangenheit aufgehoben sind. Die Gedichte machen erfahrbar, wie sehr unsere Existenz durchdrungen wird von unterschiedlichsten Schichten und Bedeutungsebenen. Dabei überwiegt ein erzählerischer Duktus, was den Autor zum Grenzgänger zwischen den Gattungen macht. In jeder Zeile ahnt man die stille Größe dieser Texte, in denen Dieter Krause virtuos mit Sprache umzugehen weiß und ihr dennoch skeptisch begegnet.

Es ist ein Verdienst dieses Autors, uns in die Katarakte aus Zeit und Raum zu führen und die Dinge neu zu bestimmen. Dabei entwickelt er ein großes Gespür für Zeitkolorit, das durchgängig in den Texten zu beobachten ist. Dieter Krauses Gedichte haben gleichsam eine Pranke, sie können schnell zuschlagen, mitten in unsere Alltagssinne und kleinen Alltagslügen hinein. Sie hinterlassen Fragen, schaffen Raum, verweisen ins Offene. Das ist ihre stille Größe.

    Reckwitz: Das Ende der Illusionen
  • Andreas Reckwitz
  • Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne
  • Suhrkamp 2019
  • ISBN 978-3-518-12735-3
  • € 18.00

Noch vor wenigen Jahren richtete sich die westliche Öffentlichkeit in der scheinbaren Gewissheit des gesellschaftlichen Fortschritts ein: Der weltweite Siegeszug von Demokratie und Marktwirtschaft schien unaufhaltsam, Liberalisierung und Emanzipation, Wissensgesellschaft und Pluralisierung der Lebensstile schienen die Leitbegriffe der Zukunft. Spätestens mit dem Brexit und der Wahl Donald Trumps folgte die schmerzhafte Einsicht, dass es sich dabei um Illusionen gehandelt hatte. Tatsächlich wird erst jetzt das Ausmaß des Strukturwandels der Gesellschaft sichtbar: Die alte industrielle Moderne ist von einer Spätmoderne abgelöst worden, die von neuen Polarisierungen und Paradoxien geprägt ist - Fortschritt und Unbehagen liegen dicht beieinander. In einer Reihe von Essays arbeitet Andreas Reckwitz die zentralen Strukturmerkmale der Gegenwart pointiert heraus: die neue Klassengesellschaft, die Eigenschaften einer postindustriellen Ökonomie, den Konflikt um Kultur und Identität, die aus dem Imperativ der Selbstverwirklichung resultierende Erschöpfung und die Krise der Liberalismus.

    Baseler: Die Kackwurstfabrik
  • Marja Baseler
  • Die Kackwurstfabrik. Marja Baseler und Annemarie van den Brink
  • Klett Kinderbuch 2020
  • ISBN 978-3-95470-188-9
  • € 15.00

Unser Körper ist eine faszinierende Kackwurstfabrik auf zwei Beinen. Zusammen mit den Kindern Pim und Polly machen wir einen Rundgang durch diese Fabrik - vom Kontrollraum ganz oben über das Säurebad des Magens und die achterbahnartige Fahrt durch den Darm bis hinunter zu den Pförtnern des Enddarms. Wegen Überlastung und Verstopfung steht die Kackwurstfabrik allerdings kurz vor dem Aus. Pim und Polly sind fest entschlossen, sie zu retten. Am Bild einer Fabrik mit all ihren Abteilungen und Maschinen wird hier mit vielen lustigen Wimmelbildern und Info-Kästen erklärt, was bei der Verdauung passiert. Vom Bissen im Mund bis zur Wurst im Klo - eine spannende Werkbesichtigung unseres Verdauungsapparats.