Bücher sind nur dickere Briefe an Freunde.
Jean Paul
Buchtipps des Monats - Winter 2023
Was macht eine gute Beziehung aus? Was ist Liebe - und was nicht? John Burnsides Geschichten tauchen in das Leben von Männern und Frauen ein, die - in einer Ehe gefangen, gebeutelt von falschen Erwartungen, dem Alkohol verfallen - alles andere als ideale Paare verkörpern. Untreu, einsam, krank, begegnet man seinen Heldinnen und Helden bevorzugt nachts auf leeren Straßen. Von so etwas wie Glück können sie nur träumen, ihre Gefühle bleiben meist sprachlos. Und doch könnten sie unsere Nachbarn sein.
Burnside ist einer der besten Gegenwartslyriker und zugleich bemerkenswerter Essayist und Romancier. Mit dem vorliegenden Band lässt er sich nun erstmals in deutscher Sprache auch als Autor von Kurzgeschichten kennenlernen. Jede der zwölf Erzählungen der von ihm eigens zusammengestellten Auswahl zeigt die ganze Verletzlichkeit eines Lebens in nur einem Moment - und besitzt dennoch das Gewicht und die Dichte eines großen Romans.
Drei Generationen zwischen Verantwortung und individueller Freiheit'Alles ist noch zu wenig' erzählt rasant und mit entwaffnender Menschenkenntnis von allgegenwärtigen Gräben zwischen Stadt und Land, Ost und West, Alt und Jung. Dabei geht es immer wieder um die Erwartungen, die wir an unsere Familie stellen - und den Widerwillen, selbst Verantwortung zu übernehmen.Weil seine Mutter Inge nach einem Sturz nicht mehr gut laufen kann, beschließt Carsten, mit seiner fünfzehnjährigen Tochter Lissa für ein paar Wochen zu Inge in die ostdeutsche Provinz zu fahren. In der Enge des Dorfes und im Alltag ihrer seltsamen Wohngemeinschaft kollidieren unterschiedliche Lebenserfahrungen und Vorstellungen. Wo zunächst nur Unverständnis herrscht, sind Großmutter, Sohn und Enkelin schließlich gezwungen, einander neu kennenzulernen. Denn eine gemeinsame Sprache sprechen sie seit Jahren nicht: Inge schmollt lieber, als um Hilfe zu bitten. Carsten schiebt Dienstreisen vor, um Reißaus nehmen zu können. Und Lissa fühlt sich allein mit ihren Ansichten von einer gerechteren Welt. In 'Alles ist noch zu wenig' schreibt Katja Schönherr federleicht und gleichzeitig beeindruckend feinsinnig von überzogenen Erwartungen, bissigem Schweigen und vorsichtiger Annäherung. Dabei umkreist sie eine Frage, die drängender nicht sein könnte: Was schulden wir unseren Nächsten - und was uns selbst?
- Sigmund Freud
- Zeitgemäßes über Krieg und Tod | Warum Krieg?. Der Briefwechsel mit Albert Einstein
- Reclam 2022
- ISBN 978-3-15-014276-9
- € 6.00

»Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg«, so Sigmund Freud 1933 in seinem kurzen Briefwechsel mit Albert Einstein, der im gleichen Jahr vom Völkerbund unter dem Titel »Warum Krieg?« veröffentlicht wurde. Der zweite, in den vorliegenden Band aufgenommene Text, Freuds »Zeitgemäßes über Krieg und Tod« von 1915, ist eines der frühesten Dokumente über das Entsetzen über den Stellungskrieg und die Materialschlachten des Ersten Weltkriegs.
Woher kommen eigentlich die Lebensmittel, die auf unserem Tisch landen? Dieses Sachbilderbuch zeigt die verschiedenen Produktionsabläufe in kleinen und großen Betrieben: den Weg der Milch auf einem Bauernhof und in einem Milchbetrieb oder wie das Brot in der Backstube und wie es in der Backfabrik entsteht, Fischfang und Fischzucht. Wie und wo Tomaten oder Äpfel wachsen, was passiert, bevor die Wurst in die Pelle kommt - und was das alles mit dem Klima zu tun hat, erklären die detailreichen, großformatigen Bilder und die leicht verständlichen Texte.
Wer gibt der Brezel ihren Schwung? Wie kommt die Sardine in die Dose? Wer melkt die Kuh?
- Volker Sielaff
- Ovids Würfelspiel. Epigramme und andere kurze Gedichte
- Poetenladen 2023
- ISBN 978-3-948305-16-1
- € 19.00

Volker Sielaff gilt als ein literarischer Solitär, der mit hoher Konzentration an seiner Poetik einer Wiederverzauberung der Welt arbeitet. Nun legt er einen Band mit Epigrammen und anderen kurzen Gedichten vor. Das Epigramm weist eine lange Tradition auf. Ursprünglich als Inschrift für eine Weihegabe, ein Kunstwerk gedacht oder einem Gedenkstein aufgeprägt, entwickelte es sich noch in der griechischen Antike zu einer sehr kurzen, prägnanten Gedichtform, die auch Gefühlen und Gedanken des jeweiligen Autors Ausdruck zu geben vermochte. Volker Sielaff greift die Form variationsreich auf und führt sie mit großer Souveränität in die Gegenwart. Manche der Texte, die in der Natur Wahrgenommenes widerspiegeln, erinnern in ihrer Leichtigkeit an Tuschezeichnungen japanischer Provenienz. Der Autor lässt eine Affinität zu japanischer Philosophie und Dichtung anklingen, die in ihrer Reduktion und gleichzeitig wirkenden Sinnlichkeit der Epigrammatik nahestehen.
Eine Mutter und eine Tochter reisen - die eine aus Hongkong, die andere aus Melbourne - nach Tokio. Einfühlsam stellt die Tochter ein Programm für die beiden zusammen, das über die Annäherung an Kunst und Natur auch zu einer neuerlichen Annäherung der beiden führen soll. Sie flanieren entlang der Kanäle, essen in dampfenden Garküchen, besichtigen Galerien, Gärten und Tempelanlagen. Doch die ersehnte Vertrautheit will sich nicht einstellen, scheint ihnen immer wieder zu entwischen, und die Ungewissheit überwiegt: Wer spricht hier wirklich - nicht vielleicht doch nur die Tochter? Was verbirgt sich hinter all dem Unausgesprochenen dieser sonderbar entrückten Reise?
In einer fremden Stadt wollen eine Tochter und eine Mutter sich einander nähern und suchen nach einer gemeinsamen Sprache. Mit Kalt genug für Schnee ist Jessica Au ein strahlend schöner, ein eleganter und eindringlicher Roman über die Betrachtung von Welt, über versuchte Nähe und Unzulänglichkeit gelungen.